Mit dem zunehmenden angestrebten Sicherheitsgefühl der Menschen wird der Platz für besondere Ereignisse im Alltag
immer rarer. Dennoch strebt die Neugier des Menschen nach etwas Besonderem. Nicht ohne Grund boomt die Branche der
Veranstalter für besondere Erlebnisse. Mit dem nötigen Kleingeld kann man heutzutage alle gewünschten Erlebnisse
auf Knopfdruck buchen. Sei es eine Ballonfahrt, der Bungeesprung von einem Hochhaus oder die Besteigung des Mount
Everest. Auch im Bereich der Sozialwissenschaften ist der Trend angekommen. So wuchert die Erlebnispädagogik an
allen Stellen aus dem Boden. Im Gegensatz zu den Freizeitaktivitäten, will die Erlebnispädagogik aber etwas beim
Menschen bewirken. Durch ihre Facettenvielfalt und ihrer großen Einsatzmöglichkeit in verschiedenen
Gesellschaftsbereichen, hat sie die Möglichkeit den Menschen zu lehren und zu erziehen.
Erlebnispädagogik soll in erster Linie Spaß machen und setzt eine freiwillige Teilnahme voraus. Sie ist eine
ganzheitliche, ressourcen- und handlungsorientierte Methode des Lernens und Erziehens, vorwiegend in der Natur.
Anders als bei den gängigsten Lern- und Erziehungsmethoden, setzt die Erlebnispädagogik ihren Fokus auf das
„Learning by Doing“. Durch das eigene Agieren in und mit der Natur, sollen die TeilnehmerInnen nicht nur ihre
kognitiven, sondern auch ihre affektiven und physischen Fähigkeiten zum Lernen einsetzen. Um dies zu gewährleisten,
braucht eine erlebnispädagogische Maßnahme eine nicht alltägliche Gegebenheit. Um diese Gegebenheiten zu
intensivieren gebraucht sie einen Ernstcharakter, bei der auch die persönliche Sicherheit infrage gestellt wird.
Erlebnispädagogik stellt hierfür den Raum, um außerhalb des komfortablen Bereiches, dennoch innerhalb des
Entwicklungsbereiches, Erfahrungen zu sammeln. Um dies Erfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung und dem
alltäglichen Leben brauchbar zu machen, bedarf es der Reflexion und dem Transfer.
Quelle: Aleksandrowicz, M. (2021). Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Transfer von Erfahrungen aus erlebnispädagogischen Maßnahmen? (S. 1-3). Hausarbeit Studium Soziale Arbeit (B.A.). Neubrandenburg.
Wie zu vielen anderen Begriffen der Sozialwissenschaften gibt es auch zu Erlebnispädagogik keine konkrete
Definition. Bernd Heckmair und Werner Michl versuchen Erlebnispädagogik wie folgt zu definieren:
„Erlebnispädagogik will [...] Menschen durch exemplarische Lernprozesse und durch bewegtes Lernen vor physische,
psychische und soziale Herausforderungen – vornehmlich in der Natur – stellen, um sie in ihrer
Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.“
Quelle: Heckmair, B. & Michl, W. (2018). Erleben und Lernen. Einführung in die Erlebnispädagogik (8. Aufl., S.108). Ernst Reinhardt.
Nach dieser Definition ist Erlebnispädagogik eine Methode, mit der ein Mensch durch nicht alltägliche Situationen und Abseits seiner alltäglichen Lebenswelt, Handlungsoptionen erlernen kann, welche ihm anschließend bei der Persönlichkeitsentwicklung unterstützen sollen und mit denen er seinen Alltag zuverlässiger bewältigen kann.
Quelle: Aleksandrowicz, M. (2021). Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Transfer von Erfahrungen aus erlebnispädagogischen Maßnahmen? (S. 1). Hausarbeit Studium Soziale Arbeit (B.A.). Neubrandenburg.
Wenn man es ganz genau nimmt, hat Erlebnispädagogik ihr Dasein seit Beginn der Menschheit. Schon im Zeitalter
der archaischen Bevölkerungsgruppen wurden die Menschen nach einigen Grundprinzipien der Erlebnispädagogik
erzogen, wenn auch unbewusst und der Lebensbedingungen dieser Menschen geschuldet. Wenn man also vom
geschichtlichen Ursprung der Erlebnispädagogik spricht und Jean-Jacques Rousseau sowie David Henry Thoreau,
als Vordenker der Erlebnispädagogik betitelt, so sind sie eher Wiederentdecker einer schon unbewusst
praktizierten Lern- und Erziehungsmethode der Menschen.
Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) war ein Genfer Philosoph, welcher die Theorie aufstellte, dass die Natur
der beste Erzieher für den Menschen sei. Dies brachte er unteranderem in seinem Buch „Emile oder über die
Erziehung“ zum Ausdruck. Nach J.-J. Rousseau lerne ein Mensch am besten durch eigenes Handeln. Dies soll durch
das Erleben mit allen Sinnen und dem eigenen Agieren in der Natur erreicht werden. Mit dieser Theorie legte er
das Fundament für die anwendungsbezogene Pädagogik.
Henry David Thoreau (1817 – 1862) war ein amerikanischer Schriftsteller und Philosoph. Für sein
„Walden“-Experiment verließ er für zweieinhalb Jahren die Zivilisation, um an einem See in den Wäldern zu leben.
Damit versuchte er seine Frage, nach den grundsätzlichen Begehren der Menschen und welche Verbindung er mit der
Natur einnehme, zu klären. H. D. Thoreau wurde mit seinem „Walden“-Experiment somit ein Vordenker für einige
Methoden der heutigen Erlebnispädagogik.
Kurt Hahn (1886 – 1974) wird oft als der Gründer der heutigen Erlebnispädagogik benannt. Er war ein deutscher
Politikberater und Pädagoge, welcher der Meinung war, dass die Gesellschaft dem Untergang nahe sei. Besonders
in den Bereichen der Hilfsbereitschaft, des selbstständigen Arbeitens und der physischen Fitness, sah er einen
kritischen Punkt erreicht. Mit seinem Konzept der „Erlebnistherapie“, versuchte er die Gesellschaft zu
rehabilitieren. In seinen Landerziehungsheimen und der „Schule Schloss Salem“, sollten Kinder und Jugendliche,
durch erlebnisorientierte Methoden, für eine bessere Gesellschaft herangezogen werden. Negativ an seiner
Vorgehensweise war aber die fehlende Reflexion der gesammelten Erfahrungen. Dennoch wurden weitere seiner
Gründungen, wie die Bildungshäuser von Outward Bound und die United World Colleges zu etablierten Schulformen
weiterentwickelt.
Quelle: Aleksandrowicz, M. (2021). Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Transfer von Erfahrungen aus erlebnispädagogischen Maßnahmen? (S. 1-2). Hausarbeit Studium Soziale Arbeit (B.A.). Neubrandenburg.
Die Frage nach dem Transfer von Erfahrung aus erlebnispädagogischen Maßnahmen in den Alltag der Teilnehmer*innen
wird von vielen Kritikern der Erlebnispädagogik gestellt.
Unter Transfer versteht man nach Annette Reiners „das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten
[...], indem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-)Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen
generalisiert und auf andere (Alltags-)Situationen überträgt.“.
Quelle: Reiners, A. (1995). Erlebnis und Pädagogik. Praktische Erlebnispädagogik; Ziele, Didaktik, Methodik, Wirkungen (S. 59). Dr. Jürgen Sandmann.
Und genau da liegt auch das Ziel der Erlebnispädagogik, dass die Erfahrungen nicht nur in den Maßnahmen positive
Anwendung finden, sondern auch im Alltag der Teilnehmer*innen.
Jürgen Raithel, Bernd Dollinger und Georg Hörmann kritisieren, dass „das Transferproblem [daraus] resultiert
[...], dass erlebnispädagogische Settings mit ihrer bewusst gewählten Alltagsdistanz strukturell eher
therapeutischen Situationen als einer alltagsorientierten Pädagogik ähneln.“.
Quellen: Raithel, J., Dollinger, B. & Hörmann, G. (2009): Erlebnispädagogik. In J. Raithel, B. Dollinger u.a. (Hrsg.), Einführung Pädagogik. Begriffe, Strömungen, Klassiker, Fachrichtungen (3. Aufl, S. 220). Springer.
Es stellt sich also die Frage wie man die Teilnehmer*innen dazu bringt, ihre gesammelten Erfahrungen in den
Alltag zu transferieren?
Reflexion ist dabei der Schlüsselbegriff. Nur, wenn ein Ereignis zum persönlichen Erlebnis wird, können
sich die Erfahrungen auf die Persönlichkeit der Menschen auswirken. Es hängt also nicht nur von der Gestaltung
der Maßnahme und die Wahl der richtigen Methode, sondern auch von der Verarbeitung des Erlebten ab.
Erlebnispädagogik ist dem zu Folge erst dann wirksam, wenn die erlebnispädagogische Situation positiv
reflektiert wird, die neu entdeckten Verhaltensstrategien verinnerlicht und in den Alltag transferiert werden.
Heckmair und Michl benutzen in diesem Zusammenhang das Bild der „erlebnispädagogischen Waage“. Auf der linken
Seite steht das pädagogisch vermittelte Ereignis. Auf der rechten Seite befindet sich die Reflexion, die
Erfahrungen und der Transfer. Gehalten werden die beiden Seiten von der Persönlichkeit des Individuums, welche
die Eindrücke zu einem Erlebnis verarbeitet. Für die Wirksamkeit der Erlebnispädagogik müssen beide Seiten
ausgeglichen sein. Gibt man dem Ereignis zu viel Gewichtung so wird die erlebnispädagogische Maßnahme zu einer
Freizeitaktivität. Wird der rechten Seite zu viel Gewichtung gegeben, befindet man sich im Bereich der
Selbsterfahrung und der pädagogische Gedanke, der hinter der Methode steht, wird womöglich verkannt. Somit
verfehlt die Erlebnispädagogik in beiden Fällen ihr Ziel und ein nachhaltiger Erfolg kann nicht zustande kommen.
Quelle: Aleksandrowicz, M. (2021). Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Transfer von Erfahrungen aus erlebnispädagogischen Maßnahmen? (S. 3-4). Hausarbeit Studium Soziale Arbeit (B.A.). Neubrandenburg.
Das wohl älteste Transfermodell, angelehnt an Kurt Hahns Theorien, ist das „The Mountains Speak for Themselves“,
welches hauptsächlich bis in die 1960er Jahre bestand hatte. Wie schon der Name des Modells aussagt, sollen die Berge
für sich selbst sprechen. So werden auch die geleitete Reflexion und der Transfer der Erfahrungen außer Acht gelassen.
Die Teilnehmer*innen sollen allein durch das intensive Ereignis und einer eventuellen Selbstreflexion den Transfer der
Erfahrungen in den Alltag erreichen. Die Leiter*innen gaben lediglich den Rahmen vor und waren Fachleute in der jeweils
ausgeführten Maßnahme. Das dieses Modell einen geringen Transfer der Erfahrungen in den Alltag hervorbringt, ist auch
dessen größter Kritikpunkt. Jedoch waren die Maßnahmen zeitlich länger als die Heutigen, welches die Chance auf eine
einprägsame Erfahrung erhöhte.
Das Modell des „Outward Bound Plus“ ist eine Weiterentwicklung des Modells „The Mountains Speak for Themselves“,
in dem man die Notwendigkeit von Reflexion und Transfer erkannte. Auch die Leiter*innen wurden zusätzlich pädagogisch
geschult, um den Teilnehmer*innen bei der Reflexion ihrer Erfahrungen für deren Alltag behilflich zu sein. Jedoch
basierte die Reflexion in verbaler Form nur im Anschluss an die Erlebnisse, welches die Kritik einbrachte, dass das
besondere Erlebnis an Gewichtung verliere. Somit verliere auch die Erlebnispädagogik ihre Singularität und nach der
„erlebnispädagogischen Waage“ von Heckmair und Michl befinde man sich im Bereich der Selbsterfahrung und der pädagogische
Hintergrund gehe verloren. Außerdem sind auch jene Teilnehmer*innen, welche Schwierigkeiten haben sich zu artikulieren
benachteiligt.
Das metaphorische Modell nach Stephen Bacon ähnelt auf dem ersten Blick dem hier zuerst vorgestellten Modell.
Es wird dabei wieder mehr Fokus auf das Ereignis gelegt, aber die Wichtigkeit der Reflexion nicht außeracht gelassen.
Im metaphorischen Modell wird versucht, durch Metaphern eine Isomorphie zwischen Alltag und erlebnispädagogischer
Maßnahme zu schaffen. Dadurch können die Teilnehmer*innen schon erlernte Vorgehensweisen aus ihrem Alltag in die Aufgabe
der Maßnahme transferieren. Da diese alten Vorgehensweisen oft der Grund für Misserfolge sind, sollen diese nicht zum
erfolgreichen Bewältigen der Aufgabe führen, sondern durch den unbewussten Vergleich mit neu kreierten Lösungsansätzen
ersetzt werden. Dabei sollen die von C. G. Jung aus der Tiefenpsychologie entwickelten Archetypen unterstützen. Anders
als bei den anderen Modellen ist hierbei eine gute Vorarbeit wichtig, in der das Gefüge der Gruppe und die Beteiligung
des Einzelnen analysiert werden muss.
Die Reflexion und der daraus resultierende Transfer findet nach Bacon während der erlebnispädagogischen Maßnahme, durch
das „Experiential Learning“, statt. Experiential Learning beschreibt den Kreislauf, wie Erlebnisse aus Situationen
reflektiert werden und zu Erfahrungen und Erkenntnisse generalisiert, sowie mit schon bekannten Vorgehensweisen
abgeglichen werden und in neuen Situationen Anwendung finden, aus denen wiederum neue Erlebnisse hervorgehen.
Auf der einen Seite versucht dieses Modell der Kritik der Alltagsfremdheit erlebnispädagogischer Maßnahmen zu
widersprechen, dennoch ist es nicht für alle Maßnahmen geeignet. Besonders bei den heutigen, relativ kurzen
erlebnispädagogischen Maßnahmen fehlt es an Zeit für die umfangreiche Vorbereitung.
Quelle: Aleksandrowicz, M. (2021). Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit. Die Frage nach dem Transfer von Erfahrungen aus erlebnispädagogischen Maßnahmen? (S. 4-5). Hausarbeit Studium Soziale Arbeit (B.A.). Neubrandenburg.